Grossvater

Religiöse Gedichte, Glaube, Philosophie, Reflexionen, Menschen und Portraits
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Namazu
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Grossvater

Ungelesener Beitrag von Namazu »

[face=Courier New]GROSSVATER

Immerzu
schnitt er Holz
strich er Bretter
atmete Staub, den
scharfen Lackdunst
und Zigarettenrauch.
Er zeigte mir die Welt
den Wurm im Apfel,
den Nussbaum und
die Schreinerei.

Muscheln
Hatte er gesucht
auf ein Pappkästchen
geklebt, damals
an den Stränden der Krim.
Er zeigte mir Häuser
bleistiftschwer, inmitten
grasiger Weiten.

Immerzu
flogen die Späne,
wenn er erzählte
vom Tritt des Pferdes,
dem verpassten Schiff,
den Kameraden am Grund
des Schwarzen Meers.

Vielleicht
sind sie jetzt Delphine
wie die anderen, von denen
er schwieg

oder Möwen.


[/face]
Austria Brigitte
Beiträge: 1300
Registriert: Dienstag 25. April 2017, 07:51
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Ungelesener Beitrag von Austria Brigitte »

Guten Tag, Namazu,

das ist ein außergewöhnlich schönes Gedicht, dass ich jeden Tag immer wieder lese, das mir sehr gut gefällt. Mein Großvater hat Muscheln an der Adria gesammelt bei einem Pensionisten-Ausflug und mit Kitt auf ein Glas geklebt, das er dann als Vase verwendete.

Schönes WE und liebe Grüße
Brigitte
Namazu
Beiträge: 191
Registriert: Donnerstag 5. April 2007, 21:16
16
Status: Offline

Re: Grossvater

Ungelesener Beitrag von Namazu »

Danke, Brigitte, es freut mich, dass Dir die Zeilen gefallen. Ich fand es noch ein bisschen unrund und habe noch ein paar Zeichen verändert. Wahrscheinlich macht das aber keinen grossen Unterschied.

Erinnerung ist ein eigenartiges Konstrukt, es fasziniert mich. Wovon erzählen Menschen, was bleibt offen, was betonen sie, was fällt unter den Tisch, worüber wollen sie nicht sprechen - und was hört man, nimmt man auf, kann es verküpfen. Für die Zuhörer:innen gibt es (frei nach Paul Veyne) Schichten um Schichten ungelebter Möglichkeiten zu erforschen, die den unergründbaren Kern der Geschichte verdecken. Und dieser Prozess hört nie auf. Mich beschäftigt auch meine eigene Rolle in der Erinnerung. Woran erinnere ich mich, wie habe ich die Geschichten damals verstanden, wie verstehe ich sie heute. Manchmal sieht oder liest man etwas und es tauchen Splitter wieder auf, die längst vergessen waren und man evaluiert die Geschichten neu.

Ob ich das Pappkästchen noch habe, weiss ich nicht, es war schon ein bisschen am Auseinanderfallen und ich bin oft umgezogen.
Namazu hat geschrieben:[face=Courier New]GROSSVATER

Immerzu
schnitt er Holz
strich er Bretter
atmete Staub, den
scharfen Lackdunst
und Zigarettenrauch.
Er zeigte mir die Welt
den Wurm im Apfel,
den Nussbaum und
die Schreinerei.

Muscheln
Hatte er gesucht
auf ein Pappkästchen
geklebt, damals
an den Stränden der Krim.
Er zeigte mir Häuser
bleistiftschwer, inmitten
grasiger Weiten.

Immerzu
flogen die Späne,
wenn er erzählte.
Vom Tritt des Pferdes,
dem verpassten Schiff,
den Kameraden am Grund
des Schwarzen Meers.

Vielleicht
sind sie jetzt Delphine
wie die anderen, von denen
er schwieg -

oder Möwen.


[/face]
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